Diesen Beitrag wollte ich schon lange schreiben und nun habe ich endlich den Mut, es auch zu tun.
Ich möchte das neue Jahr 2020 damit starten, die Karten offen auf den Tisch zu legen, und hoffe, damit vielleicht auch anderen helfen zu können.
Immer mehr weibliche Läuferinnen wie Mary Caine, ehemaliges Mitglied des Nike Oregon Projektes, oder auch Emma Abrahamson und die britische Läuferin Tina Muir haben das Thema zur Sprache gebracht.
Emma ist früher für die Oregon State University gelaufen, hörte mit dem Sport auf, nachdem sie ihren Abschluss gemacht hatte und
spricht seitdem offen und ehrlich über ihre Probleme mit Body Image. Ihren Blog kann ich nur empfehlen: https://www.emmaabrahamson.com/news
Ich will mich nicht annähernd mit diesen drei unglaublichen Frauen vergleichen, aber habe selbst meine Erfahrungen gemacht und möchte diese mit euch teilen.

Also, wie sieht ein Läufer/eine Läuferin aus?
Seit etwas mehr als zwei Wochen bin ich wieder zu Hause und wurde mit dieser Frage öfter konfrontiert, als mir lieb ist und als ich es überhaupt erwartet hätte.
Im Schwimmbad sprach mich letztens ein Typ an. Ich erzählte, dass ich kein Triathlon mehr mache, sondern mich auf das Laufen fokussiere. Er sagte zu mir: „Du siehst nicht aus wie eine Läuferin.“
Ich war irritiert, aber schaffte es, ihn zu fragen, wie denn eine Läuferin seiner Meinung nach auszusehen habe. Seine Antwort: „Nicht so kräftig.“
Ich fing an darüber nachzudenken, wie ein Läufer/eine Läuferin denn aussieht.
Der stereotypische Läufer ist wohl dünn, eher hager und wirkt dadurch ein wenig zerbrechlich.
Ich muss zugeben, so habe ich auch gedacht, denn ich habe diesen Stereotyp verkörpert.
Ich war dünn, mager, aber fühlte mich dabei auch verdammt miserabel.

Die ganze Geschichte: Was andere nicht sehen
Ja, je magerer ich wurde, desto deutlicher haben sich meine Zeiten verbessert und ich war ziemlich schnell, aber ich fühlte mich größtenteils richtig schlecht.
Mir war immer kalt. Ich hörte auf zu schwimmen, da ich schon nach 30 Min Gänsehaut bekam. Und obwohl ich meistens mehrere Schichten Kleidung trug, fror ich ständig.
Ich war unglaublich emotional. Eigentlich war ich immer jemand, der alles relativ locker sah und von nichts aus der Bahn geworfen werden konnte. Das änderte sich mit jedem Kilogramm, das ich verlor. Mein Körper und auch mein Kopf waren schon so gestresst, dass ich keinen zusätzlichen Stress vertragen konnte und bei jedem Bisschen anfing zu weinen.
Meine Gedanken kreisten ums Essen. Ich verbrachte unzählige Stunden damit, mir Bilder von Essen und Rezepten anzugucken, die ich sowieso nie probieren würde, da sie zu viel Zucker, zu viel Fett oder was auch immer enthielten. Das war anstrengend und kostete viel Energie. Energie, die ich sowieso nicht hatte.
Kurz: Ich war unglücklich, aber versuchte so zu tun, als sei alles in Ordnung.

Das Offensichtliche: Was andere sehen
Gut, so zu tun, als ob alles in Ordnung sei, hat nicht 100%-ig funktioniert. Extremes Untergewicht kann man nicht wirklich verstecken.
Trotzdem haben mir einige Leute gesagt, ich würde wie eine Läuferin aussehen. Denn wenn man schnell läuft, muss man ja gesund sein, oder?!
Meine Familie, Freunde und Coaches haben Sorgen geäußert, aber konnten mir nicht helfen.
Ehrlich gesagt kann dir in so einer Situation niemand helfen außer du selbst. Du musst die Entscheidung treffen, dass es so nicht weitergehen kann.
Ich habe begriffen, dass ich etwas ändern musste, nachdem ich beim Conference Rennen in meiner ersten Cross-Saison fast zusammen gebrochen war. Mir war kalt und ich konnte nicht mehr.
Ich war fertig. Auch fertig damit, hungrig zu sein und mich permanent selbst
einzuschränken.
Mai 2019

Leichter gesagt als getan: Gewichtszunahme
Ich fing an, mehr zu essen, und nahm an Gewicht zu. Ich achtete immer noch sehr stark darauf, wie ich aussehe und aussah. Jedes Mal, wenn ich mich gewogen habe und die Waage ein oder zwei Kilogramm mehr anzeigte, fing ich an zu weinen, der Tag war gelaufen und eventuell aß ich weniger, als ich sollte.
Dezember 2019
Und trotzdem. Fremde und weniger fremde Leute meinten, mein Aussehen kommentieren zu müssen. „Du siehst besser aus“ oder „Du siehst gesünder aus.“ Ich weiß, es war sicherlich nett gemeint, aber alles, was ich hörte war: „Du bist dick geworden.“
Gewicht zuzunehmen ist das eine - aber mental damit klarzukommen, das andere. Und sicher das, was viel schwieriger ist.
Ich kann nicht sagen, was ich gemacht habe, aber so langsam habe ich mich daran gewöhnt, wie ich aussehe.
Ich akzeptiere die Zahl auf der Waage (wenn ich mich überhaupt mal wiege).
Das hat viel Zeit, eine Menge Tränen und unterstützende Worte von guten Freunden und meiner Familie gebraucht. Außerdem gehe ich seit einem Jahr zu einem Psychologen an der Uni.
Seit letztem Sommer habe ich 4 kg und insgesamt 10 kg (seit meinem geringsten Gewicht im Herbst 2017) zugenommen.
Ja, mein Gesicht ist runder, aber so war es eigentlich immer.
Das ist in Ordnung. Das bin ich. Und ich bin endlich wieder glücklich.
Ich achte immer noch darauf, was ich esse, und koche gerne mein eigenes Essen, aber es ist kein Zwang mehr. Ich habe keine Angst mehr, etwas zu essen, was nicht „gesund“ ist.
Aufgrund einer weiteren Verletzung konnte ich die letzten neun Wochen nicht laufen.
In der ersten Zeit konnte ich noch nicht einmal Rad fahren oder schwimmen.
So habe ich wieder mit mehr Krafttraining angefangen und bin definitiv kräftiger geworden.
Wenn ich mir alte Bilder von meinem ersten Jahr an der Uni anschaue, werde ich echt traurig.
Das war nie wirklich ich. Ich sah aus wie eine 12-Jährige.
Ich laufe immer noch.
Ich denke, das ist es, was einen Läufer/eine Läuferin ausmacht und nicht, wie man aussieht oder wie viel Gewicht man auf die Waage bringt.
Marathonläuferin Nell Rojas ist ein tolles Vorbild, denn sie zeigt, dass man stark und schnell sein kann.
Ein gut gemeinter Rat
Ich sehe selber, dass ich zugenommen habe.
Das braucht keiner zu kommentieren. Wirklich nicht.
Ich glaube, jeder in einer ähnlichen Situation stimmt mir zu.
Bitte, denkt einfach zweimal darüber nach, was ihr zu jemandem sagt. Ihr vergesst es wahrscheinlich direkt wieder, aber die betreffende Person sicher nicht.
Vertraut euch und eurem Körper und schätzt wert, was ihr machen könnt.
Ich kann wieder stundenlang schwimmen, laufe meistens im T-Shirt rum, schaffe 10 Klimmzüge und kann auch bei 0 Grad für 4h auf dem Rad sitzen.
Und das ist das, was mir wichtig wirklich ist.


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Heike Voigt (Samstag, 04 Januar 2020 08:30)
Ja, auch ich gehörte zu den Personen mit den“falschen“ Worten, sorry nochmals dafür, ich Weiß noch genau, als du hier bei uns in der Küche zum Kaffee warst...
Dein Blog, klare Worte. Respekt.
Ich freue mich total, dass es dir besser geht. Liebe Meggie